Formula ist heutzutage doch genau so gut wie Muttermilch?
Das wird seit fast 170 Jahren behauptet. Daher sollten wir uns zuerst ganz kurz mit der Historie der Säuglingsnahrungen beschäftigen. Die erste Fertignahrung für Babys entwickelte Justus von Liebig 1865. Zunächst in flüssiger Form als „Suppe für Säuglinge“, später als Fertignahrung in Pulverform. Der Apothekergehilfe Henri Nestlé änderte Liebigs Rezeptur und fügte Kondensmilch dazu. Er vertrieb das Pulver nach einem Versuch an zwei Säuglingen als Nestlé’s Kindermehl. Und voilà, da haben wir sie – die Formula Nahrung. Und die monetären Interessen der Nahrungsmittelindustrie.
In den 1930er Jahren nahm die Industrie für Babymilch in Deutschland richtig Fahrt auf. Milupa (Zweibackmehl, aufgelöst in Milch) und Alete (Säuglingsnährzucker) kamen ins Spiel. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg wurde versucht, die Milchpräparate immer stärker an die Muttermilch anzugleichen. Sie wurden als „humanisiert“ oder „adaptiert“ verkauft. 1964 entwickelte Milupa die erste synthetische Milch namens Milumil.
Und das waren ja jetzt schon richtig „gute“ Kindernahrungen. Beschäftigt man sich mit der Zeit davor in allen Kulturen und Ländern, wundert man sich, dass überhaupt Babys damit überlebt haben.
Grafik Quelle Hebammenforum, 06/2014 S. 570, modifizierte Übersetzung
Schon ein kurzer Blick auf die Tabelle zeigt, dass trotz aller Fortschritte bei der Herstellung von Milchpulver die künstliche Säuglingsnahrung nicht an die gesundheitlichen Vorteile der Muttermilch heranreichen kann. Muttermilch ist nicht einfach nur Nahrung, es ist ein komplexes System, entwickelt über Millionen von Jahren, von Frauenkörpern für Menschenkinder. Evolutionär entstanden. Sie ist perfekt konzeptioniert für die Entwicklung eines großen und leistungsfähigen Gehirns und nicht für das schnelle Wachstum von Knochen, wie bei den Rindern. Sie ist immunologisch perfekt auf das Überleben unserer Kinder ausgerichtet. Sie enthält ganz verschieden gebaute Kohlenhydrate mit wichtigen Funktionen im Körper des Kindes, pluripotente Stammzellen, Hormone, Zytokine und Enzyme. Muttermilch lebt, es ist kein totes Nahrungsmittel wie Formula. Sie enthält sich bewegende, lebende Zellen – etwa 4000 auf einen mm³. Sie beeinflusst die Gene und schützt so z.B. vor bestimmten metabolischen Erkrankungen und Krebsarten. Sie passt sich fortlaufend an: ist das Kind gesund oder krank? Zu früh geboren oder drei Jahre? An extreme Klimazonen und viele andere Umstände. Sie ist bei jeder Frau für jedes ihrer Kinder anders konstruiert und einzigartig. Es gibt keine genau gleiche Muttermilch auf der Welt. Warum sollten wir unseren Kindern Kuhmilch zu trinken geben? Kuhmilch ist für menschliche Babys nicht geeignet. Sie wird ja deswegen intensiv verarbeitet, um für die Kinder überhaupt genießbar zu sein.
Nicht umsonst versucht Nestlé schon seit Jahren Patentrechte auf bestimmte Teile der Muttermilch zu erhalten. Zum Beispiel auf das kleine Eiweiß HAMLET. Es wird erfolgreich in der Krebstherapie eingesetzt.
Wenn wir uns jetzt vor Augen führen, dass wir auch im Jahr 2022 noch lange nicht alles über die Zusammensetzung und Wirkungsweise von humaner Milch wissen, dann sollte die Beantwortung dieses Ammenmärchens klar sein.
Formula kann und wird nie so gut sein, wie Muttermilch. In keiner Zukunft.
Hier findest Du weitere Teile zu unserer Serie "Ammenmärchen überer das Stillen":
Teil 1 – Wir räumen auf mit Ammenmärchen
Teil 2 – Kleine Brust, keine Milch?
Teil 3 - Die ersten Tage ist nicht genügend Milch da?
Dieser Blogbeitrag ist von Eva Vogelgesang
IBCLC, EFNB, Trageberaterin, Fachkinderkrankenschwester auf der Neonatologie - Kinderintensivstation des Klinikums Saarbrücken