Die ersten Tage ist nicht genügend Milch da?
So denkt man nicht nur oft bei uns in Europa, sondern auch in vielen anderen Ländern und Kulturen.
Das geht teilweise so weit, dass diese erste Milch als unrein oder krankmachend bewertet wird. In relativ vielen Ländern quer über unseren Erdball ist man dieser ersten Milch sehr kritisch gegenüber eingestellt. In Konsequenz bekommen die Kinder die Milch nicht. Sie wird durch meist sehr ungeeignete Nahrungsmittel ersetzt. Mit entsprechenden negativen Konsequenzen. Aber das wäre einen eigenen Artikel wert.
Zurück zum Thema. Der medizinische Fachbegriff für die Milch der ersten drei bis fünf Tage ist Kolostrum. Wir können, wissenschaftlich basiert, für das Kolostrum schon mal vorneweg festhalten: es ist nicht nur sehr wertvoll, sondern auch in ausreichender Menge vorhanden.
Schon der Begriff „Vormilch“, der deutlich häufiger gebraucht wird als „erste Milch“ oder „Kolostrum“, impliziert, dass die Milch unvollständig sei. Noch 1939 vertrat der bekannte Kinderarzt Czerny (Charité Berlin, einer der Mitbegründer der modernen Kinderheilkunde) die Meinung, dass das Kolostrum dem Säugling keine Vorteile biete.
Was sind jetzt die Fakten?
Schon im ersten Drittel (Trimenon) der Schwangerschaft wird eine wässrige Flüssigkeit in den Brüsten gebildet. Im zweiten und dritten Trimenon verdickt sie sich. In den letzten Wochen der Schwangerschaft kann sie meist problemlos gewonnen werden oder fließt, zum Beispiel beim Duschen, von alleine.
Deswegen ist auch für Frühgeborene genügend Kolostrum vorhanden. Es ist sogar auf die besonderen Ernährungsbedürfnisse dieser kleinen Kinder ausgerichtet.
Das ist die Milch bei der Geburt eines reifen Kindes auch. Sie enthält weniger Fett als reife Milch, da Fett in den ersten Tagen nicht gut verdaut werden kann. Dafür deutlich mehr Eiweiß, da es dem Kind wichtige Abwehrstoffe liefert. Sozusagen ein Booster gegen Infektionen. Ebenso das gelb machende Betacarotin, ein Radikalfänger. Milchzucker, Vitamine und Mineralstoffe sind in angepasster Dosierung vorhanden. Also alles schön passend für die begrenzten Verdauungsmöglichkeiten des Neugeborenen.
Auch der Magen des Kindes und die Mengen an vorhandener Milch sind aufeinander abgestimmt. An Tag 1-3 hat der Magen etwa die Größe einer Kirsche, Tag 3-4 die einer Walnuss und ab Tag 5, ab Einsetzen der reichlichen Milchbildung, etwa die Größe einer Aprikose. Entsprechend klein sind die Mengen an Milch, die ihn füllen.
Wichtig dabei ist, dass der kleine Magen häufig genug gefüllt wird!
Üblicherweise kommt das Baby nach der Geburt in den Hautkontakt mit der Mutter und verbleibt da bis zum ersten aktiven Stillen. Wenn das Baby sich von der Anstrengung erholt hat, öffnet es die Augen und sucht die Brust. Es wird versuchen, zur Brustwarze zu krabbeln, anzudocken und zu trinken.
Anschließend sollte alle 2-3 Stunden angelegt werden, auch nachts sollte möglichst keine Stillpause länger als 4 Stunden sein. Eine Besonderheit der ersten 1-2 Tage ist, dass das Baby müde ist und sich oft nicht von alleine meldet. Wecke Dein Kind, lege es aktiv an. Gib ihm die kleinen Mengen regelmäßig, die es braucht. Dann wird es sich schnell erholen, von alleine melden und gut trinken.
Frühes und häufiges Stillen in den ersten Tagen nach der Geburt sind die beste Versicherung dafür, dass die Milchbildung gut in Gang kommt. Und dies gilt nicht nur für die ersten Tage, sondern es sorgt dafür, dass in der kompletten Stillzeit genügend Milch da ist.
Einen Film, der den guten Stillstart in den ersten Tagen korrekt und gut verständlich darstellt, findest Du hier:
https://globalhealthmedia.org/videos/breastfeeding-in-the-first-hours-german/
Bei Fragen oder Problemen, konsultiere bitte eine*n Still- und Laktationsberater*in:
https://www.stillen.de/fuer-eltern/laktationsberatung-finden/
https://www.bdl-stillen.de/fachpersonal/stillberatungssuche/
Hier findest Du weitere Teile zu unserer Serie "Ammenmärchen überer das Stillen":
Teil 1 – Wir räumen auf mit Ammenmärchen
Teil 2 – Kleine Brust, keine Milch?
Bald online:
Teil 4 – Formula ist heutzutage doch genauso gut wie Muttermilch
Dieser Blogbeitrag ist von Eva Vogelgesang
IBCLC, EFNB, Trageberaterin, Fachkinderkrankenschwester auf der Neonatologie - Kinderintensivstation des Klinikums Saarbrücken